Liebe Freundinnen, liebe Freunde
des ›Stern der Hoffnung‹,
im Frühsommer bin ich eines Morgens in einer unbekannten Fremde aufgewacht. Es war, als hätte ich meine Heimat verloren. In diesem befremdlichen Land war es kalt und karg; es gab Einbußen und Beschränkungen, wie ich sie bisher nur vom Hörensagen kannte.
Ich bin alt geworden. Nun kann ich diese seltsam andere Welt nicht einmal mehr verlassen und wie bisher in die Weiten Brasiliens und Afrikas reisen. Das Reisen führt jetzt nach innen. Doch das Herz bleibt in Brasilien, in Afrika und im ganzen Stern: Das große Leid zu lindern, das HIV über die Welt gebracht hat, das war mein Ziel.
Bis dahin hatte ich eher betagte Menschen, die dem Tode nahe waren, gepflegt. Die neue Krankheit betraf aber junge Menschen, oft Kinder und Säuglinge. Sie starben am Anfang ihres Lebens. Die Quellen dieses Lebens wie das Blut, der Samen und die Muttermilch waren zu Todesfallen geworden. Die Angst vor einer Ansteckung war in der brasilianischen Gesellschaft so groß, dass viele Familien ihre Kranken aufgaben und aussetzten. Sie landeten im Müll der Häuserschluchten und auf dem Boden unter den Brücken.
Es gelang mir, bald schon ein enges Haus zu mieten, um einige tödlich erkrankte und furchtbar abgemagerte Mitmenschen zu pflegen. Es kam zum ersten Zusammenleben und zur Aufmerksamkeit von bundesdeutschen Organisationen, die den Aufbau des großen Landes der Verheißung mit den ersten neun Palliativstationen Lateinamerikas möglich gemacht haben. Alle, die vom Virus heimgesucht worden waren, starben damals.
Ich selber wurde immer unsicherer und wusste nicht weiter. In dieser Not sind die schwer Erkrankten und die Sterbenden meine Lehrerinnen und meine Lehrmeister geworden.
Iracéma Carlà gehörte zu den ersten Patienten, die bei uns ein Obdach fanden. In einer Favela geboren, kannte sie ihren Vater nicht und die Mutter verstarb früh. Der Missbrauch in jeder Form gehörte zu ihrem jugendlichen Dasein. Um diesem Elend zu entgehen, schloss sie sich einer Gruppe junger Frauen an, die vom El Dorado, vom goldenen Land in der Serra Pelada mitten im Amazonas schwärmten. Diese ›Serra‹ bestand aus einem riesigen Trichter, aus dem Edelmetall geschürft wurde. Hunderte junge Männer stiegen über Strickleitern in den Abgrund, um die Erde hochzutragen. Da waren die Liebesdienste der Frauen sehr gefragt. Und tatsächlich: Der Lohn war Gold wert. Es gab kleine Nuggetstückchen, die sie beiseite legte. Bald wurde Iracéma von einem lästigen Husten gequält. Sie magerte ab, hatte hohes Fieber und wurde kraftlos. Ihre Freundinnen packten ihre Sachen, setzten sie in den Bus nach São Paulo. Der Goldbeutel verschwand.
Schwer erkrankt und mittellos kam sie in São Paulo an. Im Krankenhaus wurde Tuberkulose diagnostiziert – der HIV-Test war positiv. Sterbend kam sie in unser Hospiz. Erschöpft verlangte sie nach Zeichenblock und Stiften. Zu meinem Geburtstag hat sie mir das ganze Heft geschenkt. Die zwei letzten Seiten offenbaren alles, was der ›Stern der Hoffnung‹ sein kann: ein Lebensbaum voller Herzen und die Ermöglichung des eigenen Sonnenaufgangs im Sterben.
Damals saß Peter an ihrem Bett und hörte ihr zu. Ihr letztes Bild zeigt wie es ist, ein Ansehen zu haben – und umgekehrt: als ›sol da Alemanha‹, als ›Sonne von Deutschland‹ wahrgenommen zu sein. Sie malte ihr Bild zu Ende und starb.
Der ›Stern der Hoffnung‹ geht nicht unter, wenn er am 30. Juni 2025 juristisch beendet und faktisch in die selbständig gewordenen Sterne Brasiliens und Afrikas transformiert wird. Denn dank dem Aufbau der Wasserfabrik in São Paulo und dank einem beträchtlichen Erbe sind die brasilianischen Werke selbständig geworden. Sie suchen künftig auch den afrikanischen Werken des ›Stern der Hoffnung‹ zu helfen. Denn das Elend in Westafrika wächst schneller als die internationale Solidarität. Peter hat deshalb ein privates ›Konto Afrika‹ eingerichtet für alle, welche auch nach dem 30. Juni 2025 in Benin die Schulen für gehörschwache Kinder und die Sozialstationen der Aidshilfe fördern möchten. Bis zum 30. Juni 2025 ist unsere finanzielle Unterstützung dringlich – danach werden die Konten des Stern in Deutschland geschlossen. Von einer Unterstützung des Hilfswerkes von Marco in Brasilien durch die Gemeinde von Todtenhausen werden wir rechtzeitig berichten.
Für Ihre liebevolle Begleitung danke ich von ganzem Herzen. Zusammen mit Peter wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben, dass Sie Bäume voller Herzen bleiben und sich am Ansehen aller Menschen untereinander immer neu erfreuen können.
Lisette Eicher
Das offene Konto für die private Weiterführung in Afrika (* nicht steuerabzugsfähig):
Prof. Dr. Peter Eicher, Konto Afrika: DE96 4726 0121 8820 6707 01