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Weihnachtsbrief 2019

Liebe Freundinnen, liebe Freunde
im Stern der Hoffnung,

im westafrikanischen Benin gibt es viele HIV-positive Frauen, die spurlos verschwinden – wie Vögel, die sich im Sterben verstecken. Wenn der ausgemergelte Körper die AIDS-Erkrankung verrät, machen sie sich allein oder mit ihren kleinen Kindern auf den Weg, um den erniedrigenden Vorwürfen und der öffentlichen Verachtung zu entkommen. Denn es ist strengstens verboten, über diese Krankheit zu reden.

Noch ganz benommen vom Glanz des Pariser Flughafens begleitete ich nach dem Flug über die endlose Wüste unsere Mitarbeitenden der häuslichen Krankenpflege in Bohicon, im Landesinneren Benins. Es war schwer, im Gewirr von Blech und Müll den Weg zu Elisabeth zu entdecken. Nur mit Mühe hatte das Pflegepersonal das windige Versteck ausfindig machen können, in das Elisabeth vor dem bösen Blick der Nachbarn und vor den Schuldzuweisungen der Angehörigen geflohen war. Alle scheuten das verfluchte Haus, in dem ein Dämon herrschen musste. Elisabeth selbst fiel ins Nichts. Es gab keine Berührung mehr – von niemandem. Ohne ein Wort zu sagen und ohne irgendeine Adresse zu hinterlassen, hatte sie ihre zwei Buben an die Hand genommen und den Weg ins Exil gewählt.

Im Schatten von Palmen, die sich im Winde wiegen, bin ich mitten im Busch zwei Mitarbeitenden durch labyrinthische Sandpfade gefolgt, um Elisabeth zu begegnen. In einer fensterlosen und offenbar verlassenen Lehmhütte mit undichtem Dach haben wir zu ihr gefunden. Im Dunkel des Verschlages konnte ich kaum die Gestalt ihres ausgemergelten Körpers erkennen – sie schien mit dem staubigen Boden verwachsen. Die antiretrovirale Therapie hatte nicht angeschlagen, sie kam zu spät. Mit der Taschenlampe eines Handys wurde das ganze Desaster sichtbar. Was für eine Angst und was für eine Verzweiflung sprach aus dem fahlen Gesicht und aus den schon beinahe erloschenen Augen! Ein paar Worte waren möglich und auch ein Hinhören auf Elisabeths Frage nach dem Warum. Ihre einsilbige Antwort bleibt mir unvergessen: Es ist so. Das ist unsere Tradition.

Elisabeth – das heißt «Wohnung Gottes». Ich sprach von Elisabeth zu Elisabeth. Da huschte ein Hauch eines Lächelns über ihr Gesicht und sie schien etwas erleichtert über unsere Begegnung. Mir selber wurde klar, dass in diesem Hause Gottes der Tod nahe war. Nicht wegen der Krankheit, die heute beherrscht werden kann, sondern wegen des Tabus. Das Tabu tötet.

Wie können wir gegen diese tausendjährige Macht des Verschweigens gefährlicher Erkrankungen ankommen, gegen diesen Dämon, der sich im Busch versteckt und in Affenbrotbäumen zu wohnen scheint?

Die Nachricht von Elisabeths Tod hat sich zwei Tage später in Windeseile durch den Busch verbreitet. Für die Mitarbeitenden der häuslichen Krankenpflege war es eine Niederlage mehr. Elisabeths Sterben gibt aber auch neue Verpflichtungen auf. Jetzt gilt es, sich um die zwei Buben zu kümmern.

Noch in der Trauer um Elisabeth bin ich einmal mehr in Brasilien gelandet. Vor dreißig Jahren haben auch hier in São Paulo die Bewohner der Favelas die Macht des Obskuren und die magische Kraft des Tabus benutzt, um die an AIDS Sterbenden aus der Gesellschaft auszuschließen und verschwinden zu lassen.

Heute ist AIDS in Brasilien keine beschämende Krankheit mehr. Die Patienten haben Zugang zu Medikamenten, sie werden betreut und geschützt.
Im Hospiz von São Mateus leben 35 Patienten mit Behinderungen, die Folge der nicht begleiteten AIDS-Erkrankung sind. Und auf der Terra da promessa leben 100 Jugendliche, die von der Straße kommen. Und in den drei Kinderhäusern blüht das Leben erst recht auf. Wenn ich diese brasilianische Entwicklung sehe, bin ich voller Hoffnung für Benin.

Weihnachten rückt näher. Ich wünsche Euch allen Tage voller Begegnungen und auch voller Freude.

Lisette Eicher

Stern der Hoffnung
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