Weihnachten 2018
Weihnachtsbrief 2018

Liebe Freundinnen, liebe Freunde des Stern der Hoffnung,

bizarr stehen die schiefen Häuser über dem Brackwasser der Lagune von Ganvié. Die Stadt auf den Pfählen riecht förmlich nach dem Jenseits der Zivilisation. Die schwan­kenden Hütten über den Wassern haben die Küstenbewohner Benins vor dreihundert Jahren davor bewahrt, von den Königen von Dahomey im Landesinneren als Sklaven verkauft zu werden. Die Hüttenstadt wirkt touristisch attraktiv.
Was aber ist, wenn heute die Versklavung weiter geht – für Mädchen und für Jungen – zehntausendfach. Wer würde glauben, dass Blandine mit ihren 16 Jahren zur Sklavin ge­macht werden könnte, um in Nigeria als House Girl oder im Steinbruch oder auf den Feldern für nichts zu arbeiten?

Ein Mitarbeiter von »Nukundido«, der Station für häusliche Krankenpflege in der Megametropole Cotonou in Benin, wurde auf Blandine aufmerksam, weil sie in einer Tuber­kuloseklinik als geheilt entlassen wurde, obwohl sie auch HIV-positiv war. Sie hat den Vater, die Mutter und alle Brüder und Schwestern durch AIDS verloren. Als wir ge­mein­sam in einem schwankenden Kanu nach Ganvié hinaus­fuhren, um sie ihrem Onkel anzuvertrauen, freute sich Blandine über ihre Heimkehr. Sie erinnerte sich an die Netze für den Fang der kleinen Fische und ahnte nicht, in welchem Netz sie selber ge­fangen war. Der Onkel wies sie vor unseren Augen ab: mit AIDS wolle er nichts zu tun haben. Sie könne in einem Haus Zuflucht finden, in welchem Kinder für nichts oder für beinahe nichts weitergereicht werden. Viele von ihnen bezahlen diese Abschiebung mit ihrem Leben.

Mir kommt vor, als wäre Blandine aus Ostafrika das kleine Schwesterchen von Zefinha. Auch sie war bis vor kurzer Zeit eine Sklavin – diesmal im Nordosten Brasiliens. Ich lernte sie im Mai dieses Jahres in dem erweiterten Hospiz, der »casa esperanca« im verelendeten Ostteil von São Paulo, kennen. Zitternd hat mir Zefinha – von Schüttel­frösten unterbrochen – Bruchstücke aus ihrem Leben erzählt. Als ich ihr ein Jäckchen überzog und ihre kleinen Hände langsam und zittrig durch die Ärmel zu kommen suchten, sagte sie plötzlich, dass sie aus Paraiba stamme. Als Kinder hätten sie von Hunger und Schlägen gelebt – »wie die Hunde«. Aber sie hätten keine Zähne zum Beißen gehabt. Später, schwer atmend, erzählte sie, dass sie mit 15 geflohen sei – mit Hilfe eines starken und brutalen Mannes. Als sie nach fünf Jahren fünf Kinder von ihm hatte, sei er eines Nachts in einem Kampf ermordet worden. Voller Panik sei sie zum zweiten Mal mit einem Mann geflohen. Er habe ihre Kinder nicht gewollt und so habe sie diese bei der Mutter zurückgelassen. Der neue Mann habe sie mit Gewalt entführt, in ein Anwesen im dornigen und staubigen Busch des Nordostens. Er behandelte seine Tiere und seine zwei Frauen wie Sklaven. Sie selber wurde im Stall angekettet. Als sie später davon sprach, wie sie am Tag hart arbeiten musste und nachts immer aufs Neue eingesperrt wurde, weinte sie still in sich hinein. Es seien viele Jahre so vergangen, bis sie nicht einmal mehr habe laufen können. Ihr Mann setzte sie schließlich vor einem Gesundheits­posten aus. Dort wurde sie einem Test unterzogen und als klar war, dass sie HIV-positiv sei, einfach nach São Paulo abgeschoben. Dank dem »Stern der Hoffnung« fand sie schließlich einen Platz im wunderschön ausge­bauten Hospiz von Marco.

Zephina lächelt jetzt öfters. Sie ist gern mit den anderen zusam­men und freut sich an jeder Pflege. Die antiretroviralen Mittel tun ihr gut.  
Wir hatten nicht gewusst, dass AIDS auch mit der Versklavung von Frauen zusammen­hängen kann. Doch die Mitarbeitenden in Benin und in Brasilien berichten täglich vom Schicksal ausgebeu­teter Jugendlicher, von Frauen und manchmal auch von HIV-positi­ven Männern, die wegen ihrer Erkrankung zum Opfer von Diskriminierung und Aus­beutung werden.

Wir wissen, was zu tun ist. Wir wissen aber auch, dass durch Ihre Solidarität im west­afri­kanischen Benin und in den neuerdings wieder stark bedrohten Armutszonen Bra­si­liens nicht nur hunderte von Erkrankten und Abgeschobenen wirksam gepflegt wer­­­den, sondern dass diese auch ein Stück ihrer Freiheit und ihrer Hoffnung zurück­gewinnen.

Ich danke allen von ganzem Herzen und wünsche Ihnen und Ihren Familien das ganze Glück einer friedlichen Menschwerdung. Ein frohes Weihnachtsfest für Sie und all Ihre Lieben!

Ihre
Lisette Eicher

Stern der Hoffnung
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