Liebe Freundinnen, liebe Freunde des Stern der Hoffnung,
es ist Regenzeit. In den ersten Tagen des Monats Juni fällt im westafrikanischen Benin der Segen noch spärlich vom Himmel, aber dennoch sprießt frisches Grün. Begleitet von zwei Krankenschwestern, Emilie und Gislaine, fahren wir in den Busch bei Abomey, der alten Königsstadt. Es ist noch früh am Morgen, doch schon lebt die Stadt auf und protzt auf dem Markt mit ihren farbenprächtigen Wundern: Zwiebeln und Tomaten, Flechtkörbe und zauberhafte Stoffe, schicksalsträchtige Kräuter, Vodoo-Pulver aller Art und mit Tierkadavern gefüllte Glasbehälter von zweifelhaftem therapeutischem Wert. Langsam verschwindet die Stadt und lässt Platz für die öden Terrains, die mit dem Müll vom Schrott aus unserer „ersten“ Welt übersät sind: Zerrissene Reifen, verrostete Kübel, hunderttausende zerschlissene Plastiksäcke und unbrauchbar gewordene Teile von Billiggeräten machen diese „Erde“ aus. Das ist der Lebensraum der Fahrrad-Hühnchen, dem mageren Geflügel, das seine ganze Kraft in ein irres Herumrennen investiert, um dem Kochtopf zu entrinnen.
Wir verlassen die geteerten Straßen und schlängeln uns durch Sandwege und Dschungel bis zu einer Lichtung mit zerstreuten Hütten. Verfolgt von tausend Blicken und begeistert schreienden Kindern finden wir in einer runden Lehmhütte zu einem Vollwaisen: Cyrus. Der Dreijährige hat etwas geerbt: das „Tierchen der Liebe“, den HI-Virus, der seine Familie umgebracht hat. Als die Mutter starb, war die älteste Schwester von Cyrus 11 Jahre alt. Sie war von Geburt an einem älteren Mann versprochen, der nun kam und auch ihre neunjährige Schwester mitnahm. Die Neunjährige verschwand im Nirgendwo, wahrscheinlich wie viele andere als Hausmädchen ins benachbarte Nigeria verkauft. Cyrus hatte mehr Glück. Eine entfernt Verwandte nahm ihn in ihre Arme und stillte seine Not. Emilie und Gislaine sind überglücklich, wie er lächeln kann. Er erträgt die antiretroviralen Mittel sehr gut und Stephane, der Sozialarbeiter des „Stern“, kümmert sich um die prekären Verhältnisse.
Wir begegnen in beinahe allen Häusergruppen ähnlichen Tragödien. Einmal ist es eine ältere Erkrankte, die für eine Hexe gehalten wird, einmal die verlassene fünfte Frau eines an AIDS verstorbenen Mannes, dann ist es wieder eine Familie, in der alle außer einem Baby angesteckt waren – nur, dass ausgerechnet dieses eine Baby kürzlich verstarb.
Täglich erhalten wir von allen Mitarbeitenden in den zwei großen Stationen der häuslichen Krankenpflege in Abomey-Bohicon und in Cotonou, der Riesenstadt am Meer, einen oft erschütternden Arbeitsbericht. Wie vor dreißig Jahren in Brasilien sind in Benin die massiven Vorurteile, die mangelnde medizinische Hilfe und die soziale Not der Hauptgrund der weiteren Ausbreitung von AIDS.
Es ist ein großes Glück, dass wir aus dreißig Jahren Erfahrung in Brasilien wissen, dass der Virus seinen Schrecken verlieren kann. So konnte ich in der Trauer um die Familie von Cyrus und mitten in der AIDS-Not von Westafrika unsere Terezinha in São Paulo nicht vergessen. Auch sie war ein Waisenkind. Sie erhielt den Virus als Geschenk in der Liebe. Es war ihr größter Schmerz, dass die Polizei ihr den erstgeborenen Sohn entzog und unbekannten Adoptiveltern übertrug. Mit ihrem zweiten auf der Straße geborenen Kind, einem Mädchen, kam sie zu uns. Und heute ist sie – wenn auch gelähmt und schwach – selber ein Stern der Hoffnung. Sie hat ihren Sohn wiedergefunden, ihre Tochter hat studiert und sie ist Oma geworden.
Auch in São Paulo wachsen die fünf Werke des Stern nachhaltig weiter.
Das Lieblingslied von Terezinha endet so: „Das Glück ist ein Tropfen Tau auf einem Blütenblatt – es fällt wie die Träne der Liebe auf unsere Haut“.
Mein Herz ist voller guter Hoffnung – und voller guter Wünsche für Ihre Familien
Eure Lisette